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Buch: Schamanen. Trance und Magie in der prähistorischen Kunst



Schamanismus und Höhlenkunst



Die ersten Zeugnisse schamanischem Wissens finden wir in Felszeichnungen und Höhlenmalereien der Steinzeit. Die verschiedenen Zeichnungen und Abbildungen in Höhlen weisen darauf hin, daß die Künstler ähnliche Bewußtseinsstufen durchliefen, wie wir sie heute selbst noch erleben können. Wahrscheinlich können wir davon ausgehen, daß sich unser Nervensystem und unser Bewußtsein gar nicht so sehr von den Wahrnehmungen und Fähigkeiten dieser paläontologischen Menschen unterscheidet. Man kann sich das Bewußtsein als eine Art Kontinuum vorstellen an dessen einem Ende, das klare, rationale, logische Wachbewußtsein steht und an dessen anderen Ende die tiefe Trance anzusiedeln. Diese Phase geht mit starken visionären Bildern einher. Ich verwende daher den Begriff visionäre Bilder, um diesen Zustand zu beschreiben, denn der Begriff Halluzinationen zielt mehr auf die Unwirklichkeit und Täuschungscharakter dieser Bilder ab.


Die neuropsychologische Forschung geht heute davon aus, daß man im wesentlichen drei ineinander übergreifende Phasen unterscheiden kann. Diese müssen nicht zwangsläufig durchlaufen werden, auch kann ihre Reihenfolge variabel sein. Zu Beginn der Trance treten häufig geometrische Formen wie Punkte, Zickzackstreifen, Gitter, Reihen paralleler Linien, gebündelte Kurven, etc., auf. Sie können leuchtende Farben annehmen, flimmern, vibrieren, sich ausdehen oder zusammenziehen oder miteinander vermischen. Man könnte dies als erste Stufe der Erkenntnis deuten, daß alles -wie es die Auffassung im schamanischen Weltbild ist- belebt ist und dies mit der Analogie des Ein- und Ausatmens (dehnen-zusammenziehen) verbinden.


In einigen südamerikanischen Kulturen weist man manchen dieser geometrischen Figuren einen Bedeutungsgehalt zu. So deuten die Tukano-Indianer zum Beispiel eine Reihe aus strahlenden Punkten als Milchstraße. Die Milchstraße besitzt im kosmologischen Verständnis der Tukano eine herausragende Rolle, denn sie stellt das Ziel vieler schamanischen Reisen dar. Gebündelte bogenförmige Linien sind bei den Tukano im Zusammenhang mit einigen ihrer Mythen zu sehen. Sie können so einerseits zum Beispiel als Regenbogen gedeutet werden, andererseits aber auch den Penis des Sonnengottes repräsentieren. Wie man anhand dieser Beispiele erkennen kann, kann man nicht dichotom einer Form eine bestimmte Bedeutung zuweisen, sondern ist abhängig vom jeweiligen Kontext und damit vielfältig.


In der zweiten Phase der Trance verleiht der Reisende also diesen geometrischen Wahrnehmungen eien gefühlsmäßige oder religiöse Bedeutung. Auch die momentane emotionale Verfassung der Person hat einen Einfluß auf die Wahrnehmung und die Variation der Gegenstände (set und setting).


Den Beschreibungen von Trancereisenden zufolge kommt man in der dritten Phase zu einer Art Strudel oder Tunnel, in dem man hineingezogen wird. Am Ende dieses Tunnels erstrahlt ein helles Licht. Die Seiten dieses Tunnels können mit den schon beschriebenen geometrischen Formen geschmückt sein. Auch Menschen und Tiere, andere Wesen oder Gegenstände können in diesen Mustern auftauchen. Wenn man den Tunnel am Ende verläßt, findet man sich in der Anderswelt mit ihren Wesen und Bewohnern wieder. Auch der Mensch selbst kann sich hier (anscheinend) in einen Vogel oder andere Tiere verwandeln.


Diese drei Phasen scheinen allen Menschen gemeinsam zu sein und ihre Grundlage in der Funktionsweise des Nervensystems zu haben. Der jeweilige Inhalt allerdings variiert kulturspezifisch. Denn die kulturbedingten Erwartungen beeinflussen den Charakter der visionären Bilder. Während ein südamerikanischer Schamane wohl häufiger einen Jaguar oder eine Schlange erblicken wird, sieht ein Inuit wohl eher Eisbären oder Robben. Die dahinterliegende Erfahrung und das zugrundeliegende Verständnis bleibt jedoch das Gleiche.


So unterscheiden sich die Kulturen auch darin, ob es einen berufenen Schamanen in herausragender Stellung gibt oder ob sich viele auf diesen Weg begeben können. Bei den Jivaro-Indianern in Südamerika versuchen junge Männer selbst die Fähigkeiten zu erlangen, um in die Welt der Geister zu reisen. Zu diesem Zweck begeben sie sich zu einem als heilig verehrten Wasserfall. Au diese Reise kann sich schon ein sechsjähriger Junge in Begleitung seines Vaters begeben. Durch das beständige tau, tau, tau Rufen, sowie das unaufhörliche Rauschen des Wasserfalls kann sich nach wenigen Tagen eine Vision einstellen. Zusätzlich kann dieser Prozeß durch die Einnahme bestimmter Pflanzen unterstützt werden. Übernatürliche Macht erhält der Suchende durch einen tsentsak, eine Art unsichtbarer Pfeil, der in den Körper des Initianten eindringt. Mit diesen tsentsak können die Schamanen jemanden heilen oder krank machen. Die Vorstellung dieser Pfeile könnte möglicherweise dem Gefühl des Kribbelns oder Zitterns während der Trance, den begleitenden körperlichen Empfindungen, nachempfunden sein. Die von einem Jivaro angefertigete Zeichnung eines solchen tsentsak weist große Ähnlichkeit mit den leuchtenden Zick-Zack-Linien und den geometrischen Zeichen aus der ersten Trancephase auf (Harner, 1984). Die Geisterwelt ist überall im Leben der Jivaros präsent. Auch den Hunden werden für die Jagdt bestimmte Substanzen gefüttert, so daß auch ihnen der Kontakt mit den Geistwesen ermöglicht wird. Der Schamananismus durchdringt also alle Lebensbereiche der Gesellschaft und formt die Gedankenwelt seiner Mitglieder.


Der schamanische Kosmos ist überall auf der Welt in mehrern Ebenen angeordnet. Die einfachsten Entwürfe gehen von einer Dreiteilung aus. Es gibt die mittlere Ebene, den Bereich des alltäglichen Lebens. Darunter gibt es die Unterwelt und darüber die Oberwelt, die himmlischen Spären. Die Schamanen sind die Vermittler zwischen diesen Welten. In vielen Kulturen sind diese Bereiche nochmals mehrfach untereilt.


Paläolithische Höhlenkunst finden wir in z.B.

Deutschland: Geissenklösterle, Hohlenstein-Stadel
Frankreich: z.B. Lascaux. Les trois freres, Chougnac
Spanien: Castillo, Altamira, etc.
Portugal: Foz Coa


Diese Kunstwerke sind auf ein Alter von 35 000 bis 9 500 v. Chr. zurückzudatieren. Es finden sich hauptsächlich Tierdarstellungen in diesen Höhlen, Abblidungen von Menschen sind sehr selten. Auch wenn die Tiere oftmals aus dem näheren Lebensraum der Steinzeitmenschen stammt, so finden sich bei weiten nicht alle vorhandenen Tiere in den Zeichnungen wieder. Die Motive scheinen eher auf einige bestimmte Tierarten reduziert zu sein. Auffällig ist ebenfalls, daß keines der Tiere mit seiner natürlichen Umwelt abgebildet wurde, sondern die Zeichnungen wurden vielmehr an den natürlichen Gegebenheiten der Höhle (Felsvorsprünge, Steinformationen, Strukturen) angepaßt. So werden die Tiere auf den Hinterbeinen stehend, liegend oder schwebend gezeichnet, gerade wie die Struktur des Felses es an dieser Stelle vorgibt. Es ist wohl anzunehmen, daß die Künstler gerade von Felsstruktur beeinflußt wurden und sie ihnen den Inhalt vorgab. Anzunehmen ist ebenfalls, daß die abgebildeten Tiere eine besondere Bedeutung gesaßen, die aber auch je nach Kontext variieren konnte.



Literatur aus:
Jean Clottes & David Lewis-William (1997). Schamanen. Trance und Magie in der Höhlenkunst der Steinzeit. Jan Thorbecke Verlag. Sigmaringen.